Sara Knight, Wirtschaftsjournalistin (Gast)

Dorothea’s Art Cafe Projekt ist für mich ein einmaliges kunst-philosophisches Panoptikum gewesen. Im festen Rahmen des ehemaligen Fahrradladens und der Werkstatt des Herrn Wambach hat sie alle 6-8 Wochen ein Thema und eine vortragende Person vorgestellt die uns Cafe-Besucher immer wieder für einen ganzen Abend in ihren Bann gezogen haben.

Wir haben Lustmord in der Kunst betrachtet, mit überlegt ob ein Bild museumsreif ist, Lichtobjekte in der Wüste Arizonas bezüglich ihrer Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit beurteilt, Romane geflüchteter jüdischer Schriftsteller vorgestellt bekommen, die gewundenen, verschachtelten Gedankenströmungen Descartes und Kants verfolgt, die Besonderheiten der Philosophie Josef Beuys unter die Lupe genommen und vieles mehr. Die Geschichte einer alten Yacht haben wir genossen, die Verbindung zwischen den Alte Meistern und Licht im Film ergründet, und uns gewundert über seltsamen Zeichentrick. Ab und zu mal gab es auch Ausflüge - eine Kirchenorgelimprovisation, einen Skulpturenpark, den Bunker in Ehrenfeld.

Es gab sehr viel Faszinierendes während der 50 plus 1 Art Cafe’s, und was für ein „Flow“ ist dabei entstanden! Ein Entdeckergeist schwebt in der Luft, entwickelt aus dem hart arbeitenden Gehirnschmalz von uns Zuhörern. Wir mussten uns schon konzentrieren.
Dass war Dorothea bewusst. Sie hat die Arbeit immer unterfüttert mit Kaffee und Tee, Kuchen und einem Buffet, Wein und Wasser, und den ein oder anderen der vielleicht drohte zu schwächeln wieder auf Vordermann gebracht.

Die Dichotomie - oder sogar Trichotomie - der Sache war, daß wir Cafe Besucher waren, Betrachter und Zuhörer waren, aber auch Mitspieler da jedes Art Cafe eine Art Performance war. Die Spannung der Ereignisse fing an mit dem Eintreten der Besucher, alleine oder vielleicht zu Zweit oder Dritt und fuhr fort mit dem zurechtfinden in dem ungewöhnlichen Raum, die Begrüßung, die Vorstellung des Themas, die Fragen, Antworten, kleine Unterbrechungen, Ebbe und Flut der Diskussionen, das Nichterscheinen einer Hierarchie trotz der beeindruckenden Expertise.

Eine unterschwellige Frage jedes Art Cafe war für mich: „wie definiert man Kunst“? Eine Antwort die wir gehört haben war: „Etwas was ausreichend signifikant ist, ist eine Delle in der Linienform der Zeit zu hinterlassen“ - das haben für mich die Art Cafes geschafft.


Prof. G. Simet, Wissenschaftsphilosoph (Referent und Gast)

Mit dem Vortrag ist es nicht getan: Reflexion als Auslegung und Kunst

Ich fand das Art Café, mein Art Café ‘ne tolle Sache.
Schade nur, dass das Projekt auf 50 Veranstaltungen gedeckelt war.
Doch nun… Es soll… vielleicht… doch noch weitergehen…?? Gut so!!
Schade, dass ich erst so spät darauf stieß, auf das Art Café, besser gesagt darauf gestoßen wurde.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit Frau Bohde. Es war anlässlich meines Vortrags über Gottfried Benn, den ich für das Philosophische Frühstück hielt, irgendwann im letzten Frühjahr. In der Pause zwischen Vortrag und Fragerunde kam sie auf mich zu und fragte, ob ich nicht Lust hätte, im Rahmen des Art Café etwas zu machen. Ich dürfe mir das Thema auch frei aussuchen. Und ich dürfe auch erzählen, solange ich wolle. (Der Vortrag im Philosophischen Frühstück ist ja auf eine Stunde begrenzt. Zumindest sollte es so sein.) Wenn ich nicht irre, fragte sie mich bei der Gelegenheit, ob ich denn Benns Aufsatz zu Kunst und Alter kenne. Da war doch was… Doch es war und blieb vergessen. Schwamm drüber. Dafür weiß ich noch: Kunst und Drogen war auch ein Thema: „O Nacht! Ich nahm schon Kokain, Und Blutverteilung ist im Gange…“ Es sind die Gegensätze, die uns faszinieren; das Dunkle, das uns anzieht…
Ganz so frei in meiner Themenwahl war ich dann doch aber nicht. Die Idee, mein langer Traum, die Gedichte meines Vornamensvetters Schorsch, Trakl Schorsch, auf Salzburgisch vorzutragen, wurde nicht goutiert. Das war Frau Bohde wohl doch ein wenig zu viel Risiko, so dass wir uns schließlich auf Feyerabend, einen gebürtigen Wiener einigten, einen ebenfalls nicht ganz so stromlinienförmigen Kreativen.
Da das Thema also rasch feststand, wollte ich nun noch wissen, was denn das für Leutchen wären, auf die ich mich einließe. Künstler können ja durchaus, sagen wir mal, sehr speziell sein. Jeder Jeck hat eben so seine Macken. Daher setzte ich mich – incognito – in eins der nächsten Art Cafés, um mein Auditorium kennenzulernen. Das Art Café war ja nicht ein Ort, eine Veranstaltung, ein Buch offen für alle und keinen, sondern eher ein Symposion für Auserwählte, von Frau Bohde persönlich einzeln, tek tek, geladene, berufene Gäste.
Das erste Art Café, an dem ich teilnahm, war eine Talk-Veranstaltung, auf der sich ein paar Künstler (zunächst ohne uns Zuhörer) mit sich selbst beschäftigten, über Kunst schwadronierten. Irgendwann war es der Gastgeberin dann wohl genug und sie fühlte sich bemüßigt, das Publikum zum Mitdiskutieren zu treiben, zu fordern. Viel hab ich nicht mehr im Kopf davon, außer dass ich von ihr angesprochen wurde, doch auch mal was zu sagen. Was mich störte, da ich gern unbehelligt vor mich hin lausche, ohne aufzufallen. Zudem weiß ich nur noch, dass es irgendwie um Löcher ging und Frau Bohde fragte, ob denn jemand den Begriff Schwarze Löcher erklären könne. Da war Stille im Raum. Auch mich anzusehen, half nichts… Jedenfalls war das Ganze doch recht theoretisch und ziemlich verquer. Daher wollte ich noch einen zweiten Eindruck gewinnen.
Das nächste Art Café ging in den Skulpturenpark in Wuppertal. Die Sonne schien. Die Stimmung war ausgelassen heiter. Auch die Skulpturen, die Gebäude, das ganze Areal wirkten beschwingend, harmonisch. Höhepunkt war die Villa, die wir besichtigen durften. Ein gelungener Ausflug ganz ohne theoretischen Hokuspokus.
Mit einem Künstlerpaar kam ich ins Gespräch. Die besuchte ich später in ihrem Atelier. Ein netter Nachmittag. Ich wundere mich doch immer wieder, wie viele Leute durchaus philosophisch mitreden können, ohne von der Philosophiezunft fachlich indoktriniert worden zu sein.
Ein paar Tage später ging es wieder zu Frau Bohde. Wir trafen uns zu Nachlese und Vorbesprechung. Ich kam im Anzug, was sie kleidsam fand. Es gab Wein und Oliven. Die Stimmung war köstlich.
Dann kam mein Auftritt. Ich kam mit Frau und Kind. Und ich kam bewusst viel zu früh. Ich wollte die arme Frau nicht bangen lassen: Kommt er? oder kommt er nicht? Das muss nicht sein.
Meine Erinnerungen an meinen Feyerabend-Monolog, hinterm Tisch kauernd, sind nun doch schon weitgehend verblasst, aber ein paar Eindrücke sind doch haften geblieben. Manches wirkt nach bis heute. Sogar an meinem Geburtstag noch, heute, bin ich damit beschäftigt und schreibe mich daran ab…
Zunächst wunderte mich, dass Hermann-Joseph Scheidgen, der Introducer aus dem Philosophischen Frühstück, da war. Die meisten anderen waren mir höchstens vom Sehen bekannt. Vor Beginn fragte ich jeden über seine Erwartungen, bzw. Aspekte, auf die ich eingehen solle. Hermann-Joseph wollte etwas über Vernunftkritik hören. Die Wünsche der andern sind mir nicht mehr im Ohr. Vom Vortrag selbst weiß ich nur mehr, dass ich nach eineinhalb Stunden immer noch nicht zu Feyerabends Sicht auf die Kunst, worüber ich eigentlich sprechen wollte, gekommen war. Ganz zu schweigen von seiner Vernunftkritik. In der Diskussion dann kamen noch zwei Aspekte hinzu: Was blieb denn von ihm? Und: Ist totale Demokratisierung vernünftig?
Ja, was blieb denn von Feyerabend? Gute Frage! Feyerabend sagte doch nur, was nicht geht. Seine Sicht der Dinge war: Opposition, Widerstand gegen den Betrieb, das Establishment, den Inzuchtverein. Im Unterschied zu Habermas, zur Frankfurter Schule – eine Schule, auch so ein Inzuchtverein – meinte dies bei Feyerabend aber „Wider den Methodenzwang“, wider jede Vereinseitigung, wider die Verwissenschaftlichung des Lebens. Feyerabend war, schlimmer noch als die andern drei Großen der Wissenschaftstheorie („Ayatollah“ Popper, Lakatos und Kuhn) ein Verneiner. Er war der Ansicht, dass die Wissenschaft unser Leben zu Unrecht bestimmt, fremdbestimmt, zu Unrecht die Messlatte ist. Denn das Leben ist nichts Rationales, jedenfalls nicht nur wissenschaftlich aufklärbar. Das Dionysische in der Kunst; Nietzsche, Benn und Konsorten in fröhlicher Wiederauferstehung. Ja, Irrationalität, irrationales Verhalten, Hokuspokus, kann mitunter sogar erfolgreicher sein; rein rationales Verhalten hingegen lebenskontraproduktiv. Feyerabends Lieblingsbeispiel: die Medizin: Was sagt uns denn, dass der Budenzauber, das Hopsasa der Hopi schlichtweg unserem Verständnis von Wissenschaft unterlegen sei? Was zählt, ist das Ergebnis, die Wirkung. Wer heilt, was heilt, hat Recht. Wenn „heilende Laute“ helfen, warum nicht? Wer an Astrologie glaubt, soll daran glauben. Es gibt keinen Grund, uns dem Gläubigen überlegen zu fühlen. Nichts mehr mit Comte und seiner Stufung hin zur Wissenschaft.
Dementsprechend plädiert Feyerabend für Demokratie. Experten und Laien haben dieselben Rechte. Für die Politik gilt wie für die Wissenschaft: Sie sind Systeme mit eigenen Regeln, die von Experten gemacht sind und deren Riten von Hohepriestern zelebriert werden und die für ihre Perpetuierung sorgen. Es lebe die Schule, die Anstalt des Gebets: Ich Vorbeten, du Nachbeten. Einst in der Religion, jetzt in der aufgeklärten, durchrationalisierten, abendländischen Wissenschaft. Letzte Stufe, „Achtung! Alles Aussteigen“: Erlösung des Geistes. Gleiches gilt auch für die Kunst, liebe Art-Caféler. Auch der Kunstbetrieb ist ein quasi-maschinelles System, ein Räderwerk, ratta-ratta, indem es nur gibt, was die Experten meinen. Früher, im gesegneten Mittelalter, betrieb nur das Kirchenpersonal das seligmachende Geschäft der Auslegung, inklusive Ablasshandel. Heute sind weitere Zirkel der Macht hinzugekommen: Die Wissenschaft, die Politik, die Kunst. Noch immer wird Sonntag für Sonntag gepredigt, nach derselben altbewährten Methode: Erst wird ein Kapitel aus dem Heiligen Buch vorgelesen. Dann legt der Oberpriester den Text für die Depperln, die Unmündigen, Unaufgeklärten, Unwissenden aus. Welch Gnade! „Gelobt sei der Herr!“ Vernunftkritik: Ja, mein lieber Hermann-Joseph, nie war sie so wertvoll wie heute. Ein wenig Reklame hat sie durchaus nötig. Aufklärung ist mitnichten, niemals und gar nie nicht abgeschlossen. Kant und Deckel zu? Schluss mit dem Pedanten, nach dem man die Uhr stellen konnte? Ha! Aufklärung ist stetige, immerwährende, mühselige Aufgabe. Ja, das ist pedantisch. Den Stein hoch bis zum Gipfel – und schon plumpst er auf der andern Seite wieder runter. Das ist ungerecht, in der Tat. Nichts da mit Singularität: Ein Mal und vorbei. „Der Mythos des Sysiphos“. Das ist Camus. Das ist Existenz. Das ist nicht hip. Das ist Anstrengung, Schweiß und Vergeblichkeit. Eine stetige Aufgabe in unserem Vorlaufen in den Tod. Und schwupps, schon sind wir in der Existenzialontologie… Was Heidegger – „Der war doch Faschist?! – mit Feyerabend zu tun hat? Ganz einfach: Hermeneutik. Auslegung ist Sache des Daseins, jedes einzelnen Daseins, je meinig. Das ist Anti-Hitlerismus. Das Ich hat sich zu widersetzen – allen Ansprüchen, die an es ergehen. Dass Heidegger, dass Benn aus Gesinnung dem Züchter, dem Führer, dem Hohepriester anheimfielen, ist rational nicht erklärbar. Diese Schule wie alle Schulen sind das Gegenprogramm zur Selbstverantwortung.
Richtig? Überzogen? Und wenn schon…: Hauptsache: kritisch, kritizistisch bleiben…
Interessant, was mir so alles einfällt, spontan, einfach so, DaDa, Feyerabend, sein Stil…
Additionen, Assoziationen ohne Ende (und das ganz ohne Drogen!), ohne Oben und Unten, bloße Existenz, Andeutungen…
Was blieb von Feyerabend? Letztlich nur, was von Sokrates schon blieb: Das Wissen, letztlich nur zu wissen, dass man nichts, zumindest kaum etwas weiß; und der Schluss daraus: Das Geschäft der Auslegung des eigenen Daseins, wider das Meinen, die Vermeintlichkeit von Wissen, Selbstaufklärung zu betreiben. Immer und immer wieder. Dem eigenen Tod zum Trotz.
Über die Jahrtausende hinweg: An den Grundbefindlichkeiten unseres Daseins änderte sich wenig; und das wird wohl auch so bleiben. Die conditio humana ist eben, wie sie ist. Ob wir dies wahrhaben wollen oder nicht. Weil es das Wahre an sich nicht gibt, ist das Wahre stets relativ. Es ist auf anderes bezogen. Jeder Begriff, jedes Wort ist relativ. Er/es wird durch andere Begriffe/Worte definiert und erklärt. Wissenschaft, Kunst und Religion: Das sind Netze aus Sprache, Auslegungssysteme. Ein Buch, selbst das Buch der Bücher verweist auf andere Bücher. Wer dies nicht zugibt, macht sich schuldig. Selbst Schuld ist relativ. Das Neue (an Wissen, an Schuld) liegt darin, Bezüge aufzuzeigen, die andere gegebenenfalls noch nicht aufzeigten. Das wissenschaftlich Neue ist stets relativ. Absolut ist nur Gott: Wenn es ihn denn gibt. Er ist der Gegenentwurf, das Contra zur Endlichkeit jedes (singulären) Daseins. In der Menschenwelt existiert das Absolute nur als Idee; eine Idee, die nicht fassbar ist. Ob sie deshalb aber auch sinnlos ist, unter Sinnlosigkeitsverdacht steht. Ob Carnap Recht hat? Sind metaphysische Sätze wie der Satz Heideggers, „Das Nichts nichtet“, sinnlos? Oder ist auch das nur Schule, Verteufelung des Gegners? Und flugs sind wir im Positivismus.
Sie sehen, liebe Art-Caféler: Ein Puzzelteilchen verweist auf andere Puzzleteilchen. Das ist das Spiel unseres Lebens. Lassen wir es dabei: Alles ist relativ, weil nur in Relation zu anderem bestimmbar. Es lebe die Singularität! Es lebe das Wir, das heißt jeder von uns!
Auf dass wir noch viele anregende Art Cafés vor uns haben mögen!
Nur weiter so, liebe Frau Bohde!


Aus der Sicht des Kunsthistorikers Timo Kaabi-Linke
Zu Tisch!
Das Art Café der Dorothea Bohde

Der Appetit kommt beim Essen, so lautet eine der berühmten Leib-, Lebens- und Binsenweisheiten von François Rabelais. Ein Mann der Renaissance, der sich nie das Recht hat nehmen lassen, Recht zu behalten. Ein Tausendsasser und Genießer, aber auch ein Universalgelehrter und lachender Humanist. Mit seiner Prosa verbinden sich Ausdrücke wie „pantagruélique“ oder „gargantuesque“, die kein Franzose missen möchte, um einen gesunden Appetit beim Namen zu nennen oder ein üppiges Mahl zu loben.
Rabelais, dessen Prosa Welt und Wissen seiner Zeit verzehrte und fast alle möglichen Themen zwischen Leib und Seele ansprach, wäre ein perfekter Gast im Art Café der Dorothea Bohde gewesen. Nicht allein deshalb, weil er aus einer anderen Zeit stammt – was ihn und seine Erscheinung heute generell interessant machen würde; und nicht nur, weil das politisch wie moralisch unkorrekte Auftreten dieses Mannes, der zeitlebens in theologischer und konfessioneller Hinsicht verdächtig war, heute wieder als geistige Erfrischung erfahren würde; er passt auch nicht ins Art Café, weil er seine Gelehrsamkeit, anstatt in trockene Traktate, auch in einen grotesken Romanzyklus über den Riesen Pantagruel, Sohn des Gargantua, einfließen ließ. Diese fortlaufende parodistische Erzählung gilt heute als sein Lebenswerk, das sich ganz bewusst immer wieder als Lügengeschichte entblößt – denn wer damals zugab zu lügen, der konnte es sich auch leisten, die Wahrheit zu sagen. Deshalb wundert es nicht, dass sein Romanwerk eine kaum zählbare Menge von Lebensweisheiten aus der Geburtsstunde des neuzeitlichen Europas einfängt. Eine interessante Person, keine Frage, doch vor allem wäre Rabelais deshalb ein perfekter Gast im Art Café, wenn nicht sogar ein idealer Repräsentant und ganz sicher ein spannender Referent, weil er seine Liebe zum Wissen stets mit der Lust am Genuss verband. Am kulinarischen Potpourri der Salonière Dorothea Bohde hätte dieser rustikale Rennaissance-Mensch gewiss ebenso viel Freude gehabt wie an den Themen, die den Referenten und Gästen des Cafés auf den Zungen liegen. Wenn hier und heute die übrig gelassenen Fragen der Philosophie wieder auf den Tisch kommen, dann hätte er darauf sicher die eine oder andere leibliche Antwort geben können. Wenn Thomas Schürmann über vom Vergessen bedrohte Exil-Autoren spricht, dann würde er, der, obwohl er zeitlebens als suspekt galt, unvergessen geblieben ist, Gelassenheit demonstrieren können. Wenn Andreas Mertin über die Kirche und ihr Kreuz mit der Kunst redet, dann hätte Rabelais ganz sicher auch aus der umgekehrten Sicht der Künste, die sich mit der Kirche plagten, einiges zu berichten gehabt. Und wenn Stephan Schäfer einen ganzen Abend lang literarische Spuren zum Thema „Gehen!“ liest, dann wird das Kernthema, wenn nicht sogar das Überlebensprinzip von Rabelais angesprochen, das Fortgehen. Eine scharfe Zunge zwang damals zu einem Leben auf Wanderschaft, nicht unbedingt zur Flucht, doch es bot sich an, beleidigten Obrigkeiten aus dem Weg zu gehen bevor es zu spät war. Kurz, entweder hat Rabelais zu früh gelebt und das Art Café verpasst oder wir einigen uns darauf, dass die Veranstaltung von Dorothea Bohde den Geist dieses Renaissance-Menschen wieder aufleben lässt, der an Lust und Laster Gefallen hatte und für alles noch so Ernste und Bedrohliche ein leibliches Lachen reservieren konnte.
In der heutigen Zeit geraten offensichtlich manche Sachen durcheinander. Zum Beispiel wenn Passagierflugzeuge mit Raketen verwechselt und Kriege für den Frieden und die Völkerfreiheit geführt werden. Oder wenn Gesellschaften sich unhinterfragt auf ihre Techniken verlassen, obwohl doch immer wieder die Erfahrung gemacht wurde, dass die negativen Folgen einer Technik erst dann eingeschätzt werden, nachdem menschliches oder technisches Versagen uns mit ihnen bekannt gemacht haben. Unter diesen Lebensbedingungen tut Gelassenheit gut, die sich immer noch darauf berufen kann, dass der Alltag bisher noch jeder Katastrophe der Menschheitsgeschichte Herr geworden ist. Die gefühlte ewige Wiederkehr des Alltäglichen scheint das Ereignis der Katastrophe immer wieder einzuholen. Diese Gelassenheit scheint auch für die Lebenshaltung Renaissance typisch gewesen zu sein. An der Schwelle zum „wiedergeborenen“ Europa erwachte der Glaube, das Mittelalter und sein strenges Zusammenspiel von Mythos und Macht sei endlich überwunden. Neue Sichtweisen wurden möglich, die zur Kunst und zur Wissenschaft der Neuzeit geführt haben.
Eine ähnlich gelassene Stimmung zeichnet das Art Café aus, wo Themen angesprochen werden, die im Aufmerksamkeitssog der Aktualität verschluckt werden, wo Sachen, Inhalte und Fragen Bedeutung haben, die durch Brennpunkte wie Kollateralschäden von Kabul bis Berlin, Finanz- und Wirtschaftskrisen, das Bohrloch am Golf von Mexiko oder Aschewolken über Europa verdrängt werden. Daher ist die Freude groß an einem wiederkehrenden Ereignis, das der Gegenwart etwas Wind aus den Segeln nimmt, das die Geschehnisse entschleunigt und mehr Raum für andere Gedanken schafft, so dass die Aufmerksamkeiten mal nicht auf das gerichtet ist, was gerade eben passiert ist und das Nachdenken auch mal Abstand hat, von dem, was Unterhaltungs- und die „Bewusstseinsindustrie“, so der kritisch gemeinte Terminus von Hans-Magnus Enzensberger, gerade im Angebot haben.
Das Art Café gönnt seinen Gästen eine verdiente Pause. Frei von Sachzwängen, Entscheidungen, Handlungen. Ein Ort der Zusammenkunft und des Erlebens, der Unterhaltungen und Informationen, wo interessante und interessierte Menschen sich treffen und ihre Ansichten miteinander austauschen können, ohne Furcht vor einer Blamage. Ein Freiraum der Worte und des unkodierten Sprechens, wo jeder und jede, die sich berufen fühlen, mit ihren eigenen Stimmen sprechen und mit ihren Worten und in ihrer Sprache über ein bestimmtes Thema reden können. Ein Ort der Vielstimmigkeit, für den Gesellschaften wenig Platz lassen.
Dieser Ort ergab sich aus dem Wunsch nach einem solchen Ort, erklärt Dorothea Bohde. Im Jahr 2006 entstand die Idee zum Art Café-Projekt. Es war ein Krisenjahr. Bohde wollte sich nicht in ihrer bildnerischen Arbeit einkapseln und ein Heft nach dem anderen mit Zeichnungen füllen, die sich dann auch nur schwierig verkaufen lassen. Auf diesem Wege befürchtete sie am Ende noch autistische Züge zu entwickeln. Um dies zu vermeiden nahm sie sich vor, häufiger unter Leute zu gehen. Da sie aber weder eine typische Kneipengängerin, Barhockerin oder Thekensteherin ist, für losen Klatsch und Tratsch nicht viel übrig hat, und da Vernissagen nur selten einen Fluchtweg vor autistischen Anflügen bieten und da ihr Alternativen wie Wanderclubs, Literaturkreise und Ähnliches suspekt erscheinen, ergriff sie die Initiative und schuf, was es in ihrem Umfeld noch nicht gab: einen Ort des Zusammenkommens für verschiedene Menschen mit ähnlichen Interessen oder zumindest mit der gleichen Lust am Interessiertsein. Gutes Essen und guten Wein sollte es geben, denn Bohde war bewusst, was Rabelais lehrte, der Appetit kommt beim Essen, der Durst erlischt beim Trinken. Essen und Denken sollten zusammenpassen, Gastro- und Philosophie sollten hier Hand in Hand gehen und Menschen verbinden, die mit beidem etwas anfangen können. Die Idee zum Art Café war geboren. Damit bewegte sich die Malerin Dorothea Bohde aber nicht außerhalb ihres Schaffensbreichs, sondern nur in einem neuen künstlerischen Medium. Denn fern davon sich mit der Organisation, Planung und Produktion des Cafés bloß die Zeit zu vertreiben, versteht sich es in einem von Beuys abgewandelten Sinne als „soziale Plastik“. Was damit im Genaueren gemeint ist, bleibt noch zu klären.
Der Name Art Café bezeichnet ohne Umwege, worum es Bohde geht. Darum einen Ort zu schaffen, der sich nicht von selbst gebildet hat, ein Ereignis geschehen lassen, für das es sonst keine Bühne gibt. Es ist klar, dass dies nur auf künstlerischem Wege möglich ist, denn Bohde verwirklicht damit eine Utopie und baut sie in die Routinen des Alltäglichen ein. Seit dem Auftakt im Jahr 2006 erlebt das Café jeden Monat eine Neuauflage. Meistens findet es in Bohdes Atelierräumen statt, doch hin und wieder zieht es die Veranstaltung auch an andere Orte. Je nach Thema oder Anlass wird das Café zur nomadischen Veranstaltung. Für eine Orgelimprovisation von Dominik Sustek wanderte es in die Kölner Jesuitenkirche Sankt Peter und im Juni 2010 fand die Veranstaltung mit stehenden und laufenden Bildern von Bohde und dem Filmemacher und Buchautor Achim Duncker erstmals am Prenzlauer Berg in Berlin statt.
Die Ortsveränderung ist aber nicht nur Themen und Anlässen geschuldet. Dahinter verbirgt sich ein Trick, der Bohdes Art Café von der üblichen Salonkultur unterscheidet. Anstatt auf Wiederholung zu setzen und einen Salon zur gesellschaftlichen Institution zu machen, entsteht das Art Café immer wieder neu. Bohde geht es darum, das Ereignis immer aufs Neue in die Welt zu bringen, was durch die Ortsveränderung ebenso bewirkt wird, wie durch die Themen und die Gäste. Es soll sich nicht etablieren, nicht zur Gewohnheit werden und keine festen Erwartungen erzeugen und pflegen, wie es von den Salons mit ihren Rollenverteilungen und dem darauf beruhenden sozialen Spiel, dem Sehen-und-gesehen-werden, bekannt ist. Im Café fehlt die Ebene des Spiels und der symbolischen Codes. Was Schiller schlechthin als die Bühne der menschlichen Kultur beschrieb, das gespielte Leben, tritt hier in den Hintergrund, und zwar zugunsten eines unverfälschten Zusammenseins, an dem jeder und jede so, wie sie sind, wie es ihnen passt und wie sie es wünschen teilnehmen können. Hier zählen Inhalte, nicht Formen. Das Café ist keine Bühne für die Aufführung des Sozialen, sondern es schafft Raum für einen offenen sozialen Austausch. Aufgrund dieser Offenheit, die durch die Gäste und die Themen mit jedem Mal wiederhergestellt wird, kann nicht von einem sich wiederholenden Termin gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um die Produktion wirklicher Ereignisse – Produktion, weil hinter jeder Veranstaltung auch Programmplanung, Organisation und Vorbereitungen (vor allem in der Küche) stecken; und Ereignis, weil jede Veranstaltung in sich selbst aufgeht und nicht als Teil auf ein vorab festgelegtes, übergeordnetes Programm verweist.
Als offenes Ereignis hat das Art Café den Charakter eines künstlerischen sozialen Experiments, das in der Spanne eines Abends die Zeit aufhebt und stillstellt. Alles, was passiert, passiert hier und jetzt im Kreise der anwesenden Gäste. Twitter, Facebook, Myspace und andere techno-sozialen Netze, die aus der Abwesenheit ihrer Teilnehmer Profit schlagen und den sozialen Alltag heute zeitlich organisieren, werden vorübergehend auf Stand by geschaltet. Das Café basiert auf einer rustikaleren und am Ende vielleicht auch durchsetzungsfähigeren Plattform der sozialen Vernetzung: es setzt auf Kölschen Küngel Zwei-Punkt-Null. Die Erfahrung der Gegenwärtigkeit scheint die Menschen nämlich stärker miteinander zu verbinden als der neugewonnene digitale Zwangsluxus einer permanenten und räumlich entgrenzten Verfügbarkeit. In Zeiten da Letztere den Lebensalltag beherrscht erscheint das soziale Phänomen des Art Cafés wieder in einem utopischen Glanz, der seinen künstlerisch-experimentellen Charakter ausstellt.
Wenn für die Dauer einiger Stunden die Zeit stillgestellt wird, dann ist damit weder die physikalische Zeit noch die erlebte gemeint. Entschleunigt wird die hohle Zeitform aufeinanderschlagender Ereignisse. Eine leere Zeit, die durch Salven von Nachrichtenmeldungen ausgestopft wird, die Zeit der Informationen und der Schocks. Diese nüchterne Verkehrszeit und ihre strenge Sukzessivität wird an einem Abend im Café plastisch gedehnt. Die Gäste finden an einem Ort der Ruhe und der Entschleunigung zusammen. Unter der von Bohde und ihren Referenten ausgewählten und feinthematisch abgestimmten Sinnglocke werden gemeinsames Nachdenken, das Zuhören und Sprechen lassen, die Geduld zum wechselseitigen Verstehen und der offene Dialog als Optionen erkennbar. Gegen alle Hektik der Welt gilt hier die Hausmaxime der Gelassenheit. Man kann die hier erlebten Momente mit dem Moment des Eingedenkens vor einem Kunstwerk vergleichen. Was dort auf der Ebene der Anschauung geschieht, vollzieht sich im Art Café auf der der Kommunikation. Wenn die Kunst uns Wahrnehmungen schenkt, die wir einander nicht mitteilen, sondern über die wir uns nur unterhalten können, dann stellt Bohdes Café auf radikale Weise die Verständigung in den Vordergrund.
Das Art Café ist eine Kunstform der Kommunikation, eine soziale Plastik, ein Happening oder Spektakel und zugleich auch ein flüchtiges Ereignis, das ein soziales Gefüge wiederherstellt und damit eine Kernfrage aufwirft, an dessen Ungeklärtheit die Soziologen heute nicht mehr vorbei kommen. Was ist Gesellschaft?
Dieses Phänomen, das in seiner Vollständigkeit sich der Wahrnehmung entzieht und das man andererseits als Objekt voraussetzen muss, um überhaupt zu verstehen, was man beobachten kann, ist bis heute ein Rätsel geblieben. Wie wird es erlebt oder wie kann es erlebt werden – und vor allem, wie kann es aus dem Erlebten zusammengebaut werden? – Es dürfte klar sein, dass Antworten auf diese Fragen nicht dem Einzelnen vorbehalten sind, sondern nur Miteinander und das heißt durch den offenen Austausch des Erlebten gefunden werden kann. Dennoch versucht Bruno Latour darauf eine Antwort zu geben. Sie fällt recht bescheiden aus, da er sich streng an die Semiotik hält. Den Ausdruck „das Soziale“ lässt er beiseite, denn wissenschaftlich lässt sich damit nicht viel anfangen, da es sich ja um etwas handelt, das man eigentlich nicht beobachten kann. Gesellschaft heißt im Französischen société, das abgewandelt wurde vom lateinischen societas, was Beteiligung, Bund und Gemeinschaft bedeutet. In diesem Sinne der Verbindungen oder Vernetzungen interessiert sich Latour für Gesellschaftliches. Er sieht darin ein Phänomen, das auf alles verteilt ist, was irgendwie an einer Gemeinschaft teilhat. Das mögen in erster Linie Subjekte sein, aber auch Objekte, Räume, Materialien, Tiere, Medien, Instrumente, Texte usw. Er geht also davon aus, das Gegenstände bestimmte Formen der Sozialität, des Verbindens und Versammelns herstellen können. Auch im Art Café gibt es einen solchen Gegenstand. Eine Leiter, die Bohde, um Platz zu sparen, in ein Regal umfunktioniert, auf dem sie Köstlichkeiten serviert. Ohne dieses Ding, meint eine ihrer Gäste, sei das Art Café nicht dasselbe.
Noch eine Retour zu Latour. Woran erkennt er Gesellschaft? An permanent und überall sich wiederereignenden Prozessen der Attraktion von Menschen und Dingen. Er beschreibt ihre planlosen Anziehungen und Wiederneuverteilungen, ihre Versammlungen und Zerstreuungen und ihre steigende Vernetzung durch Zeichen, Medien, Themen. Eben das stellt auch Dorothea Bohde auf künstlichem Wege her. Wenn sie an kulinarischen und thematischen Registern zieht dann schafft sie Gesellschaft. Sie lockt die Menschen mit allem, was Appetit macht und sie vernetzt sie durch die mit den Referenten abgestimmten Themen, die einen offenen Austausch über Erfahrungen der Welt unseres Zusammenlebens bewirken. Dabei kann es um den szenischen Charakter des Lichts im Lichtspiel gehen oder um die Abgründe des Private-Public-Partnership. Mal wird, wie schon erwähnt, das Verhältnis von Kunst und Kirche diskutiert werden. Mal werden die Restfragen der Philosophie bedacht, die den heutigen Menschen, der längst nicht mehr weiß, was er tatsächlich alles weiß, daran erinnert, nicht alles zu wissen. Dann wieder wird Menschliches wird zwischen Lebenspraxis und Kriminalistik verhandelt. Eine phänomenologische Ästhetik der Wahrnehmung wird umrissen und literarische Hinterlassenschaften, von Heines Lehrstück über das Leben des Herrn von Schnabelewobski bis hin zu enologischen Grenzerfahrungen, werden wiederentdeckt. Und während einerseits Strategien der Raumerfahrung per pedes, mit Schiff und Segel oder durch die Architektur verhandelt werden, gehören andererseits auch musikalische Improvisationen zu den wiederkehrenden Themen des Art Cafés. Wenn an diesem Ort Johannes Stüttgen über den Begriff der „sozialen Plastik“ von Joseph Beuys spricht, oder wenn das Gastmahl von Plinius vorgetragen wird, dann bekommt die Veranstaltung sogar ganz modern einen selbstreferentiellen Drall.
Menschen entdecken, die Besonderes machen und sie mit solchen zusammenbringen, die dafür einen Sinn haben, das ist das Talent von Dorothea Bohde. Außerdem hat sie ein Gespür für interessante abendfüllende Themen und ihre von Norden nach Süden und vom Westen nach Osteuropa wandernde Küche sorgt dafür, nicht nur dem reinen Sinn, sondern auch den leiblichen Sinnen ihrer Gäste entgegen zu kommen. Auf diese Weise bringt sie Menschen mit ganz verschiedener Herkunft zusammen. Das Art Café ist eine Heterotopie, ein „anderer Ort“. Einmal geschaffen verliert er zwar seinen utopischen Gehalt, es bleibt aber dennoch ein Ort, wo die Grenzen zwischen Klassen und Schichten aufgelöst werden und die üblichen sozialen Distinktionsmechanismen leerlaufen. Hier treffen sich Akademiker und Advokaten, Banker, Sportler und Spiele, Handwerker und Studenten. Ein sozialer Shake, der auf einer geheimnisvollen Mixtur von Appetit und Interessen beruht. Hier wird Gesellschaft gemacht, doch auf eine Weise, wie es angesichts unserer gewohnten Maßverhältnisse außergewöhnlich erscheint.
Noch heute suchen Soziologen nach der Rezeptur unserer Lebensformen. Dabei war einer vielleicht schon sehr viel näher dran, als alle anderen, die ihm nachfolgten. Georg Simmel. Bohde schließt mit ihrem gastrosphisch-kulinaristischen Format an eine seiner zentralen Einsichten über die Soziologie des Essens an. Simmel wunderte sich nämlich, dass ausgerechnet das Essen, die egoistischste aller Handlung, da jeder Mensch nur seinen eigenen Bauch füllen kann, seit jeher ein Anlass zur Geselligkeit war. Ein gemeinsames Mahl muss also mehr sein als die Summe der gefüllten Mägen. Das gemeinschaftliche Essen verbindet Menschen miteinander, um den Genuss am Leben zu teilen. Und diese Genüsse fallen im Art Café nicht minder abwechslungsreich aus als die Themenwahl. Es gibt Vitello Tonnato und marinierte Lachsröllchen, eine Auswahl verschiedener Suppen, wie rote Linsen, Kürbiscreme, Zwiebel & Grana Padano oder Zitronengras (scharf!). Oder wie wäre es mit Albondigas und Hackfleisch mit Schafskäsefüllung. Das und mehr steht auf Dorothea Bohdes Speiseplan.
Ihr Menü ist ein Querschnitt durch Europas Küchen. Damit liefert sie selbst einen unmittelbaren, das heißt wortlosen, doch sehr geschmackvollen und runden Beitrag zur Themen-Reihe „Weltzugänge“, die sonst mit Wandern, Segeln, Denken, Lesen, Musizieren abgedeckt wird. Und sie hat völlig Recht damit, die ästhetischen Fundamente für die Kunstform des Cafés in der Küche zu legen. Wenn Simmel im gemeinsamen Essen die Ur-Szene eines auf Individualität und Gemeinschaft beruhenden Zusammenlebens erkennt, dann ist es nur konsequent, die kulinarische Karte zu zücken, um damit das Spiel um die „soziale Plastik“ zu gewinnen.
Der Wunsch nach einer sozialen Form, die einen freien Austausch über interessante Themen ermöglicht, war von der ersten Stunde an die belebende Idee zum Art Café. Die Idee wurde in die Tat umgesetzt und seit dem, hat Dorothea Bohde immer wieder beweisen können, wie Recht Rabelais doch hatte, als er sagte, der Appetit kommt beim Essen.


Matthias Oberländer
Leichtes Weltgericht. Wie lässt es sich leben, ohne Heilsversprechen und Verdammnisandrohung? Ganz gut, finden viele Zeitgenossen, die sich nicht nur vor "entarteter Kunst" in Meisner Porzellan nicht fürchten, sondern selbst solche produzieren oder einfach nur genießen. Im Art Café von Dorothea Bohde finden sie sich zusammen zum selbst-bewussten Dialog mit anderen Vertretern der Liberal Arts etc. und interessierten Menschen wie du und ich. Nicht einmal der Postmoderne fühlt man sich hier bei gutem Wein und köstlichem Essen verpflichtet. Derart unbeschwert von intellektueller Etikette finden unprätenziöse Begegnungen des Austauschs und Vergnügens statt, genussvolle Aneignungen schwerer und weniger schwerer Sinn-Materie, Metamorphosen und dialektische Wechselspiele im Geiste der fröhlichen Wissenschaft. Und warum nicht auch jenseits von Gut und Böse. Über jeden Zweifel erhaben - der Ort: Atelier Bohde, Florastr. 65., 50733 Köln (U-Bhf: Florastr.). Tel: 0221/4506158